Ueberreuter Verlag, Wien 2009
Inhalt
Rechtsmissbrauch als Rechtspraxis
Seite 86 ff.
Die Entwicklung des Autoverkehrs hat in vielen Orten dazu geführt, dass die Bevölkerung zunehmend unter Lärm und Abgasen leidet. Um die Probleme zu beheben, wird die Forderung erhoben, Umfahrungen zu bauen. Meist mit dem Ergebnis, dass sich die Situation dadurch nicht verbessert, sondern bald wieder die gleichen Probleme auftreten, außer dass mehr Durchzugsverkehr schneller über die neuen Fahrbahnen fließt, um dafür umso störender den nächsten Ort zu belasten. Und so unterstützt die Rechtspraxis eine immer stärkere Versiegelung der Landschaft und Zerstörung der Umgebung. In einem geordneten Rechtsstaat mit einer wirksamen Straßenverkehrsordnung dürfte es aber gar nicht so weit kommen.
§ 45 der Straßenverkehrsordnung (Verkehrszeichen und Verkehrseinrichtungen) lautet:
(1) Die Straßenverkehrsbehörden können die Benutzung bestimmter Straßen oder Straßenstrecken aus Gründen der Sicherheit oder Ordnung des Verkehrs beschränken oder verbieten und den Verkehr umleiten. Das gleiche Recht haben sie [..] zum Schutz der Wohnbevölkerung vor Lärm und Abgasen.
[Anmerkung: im Original wird die österreichische StVO zitiert, auf dieser Seite steht die deutsche StVO]
Sachkundig interpretiert, darf es bei einer solchen Rechtsgrundlage niemals zu einer Forderung nach einem Ausbau von Fahrbahnen kommen, weil die Verkehrsbehörde dafür zu sorgen hat, dass alle Störungen [..] der Bevölkerung [..] wirksam unterbunden werden. [..]
Der Paragraf wird in der Regel nur für die Autofahrer zur Anwendung gebracht und nicht für die Menschen, die neben den Fahrbahnen wohnen. Wenn zum Beispiel in einem Tunnel die Luftqualität so schlecht wird, dass sie die Gesundheit der Autonutzer gefährdet, greift die Verkehrsbehörde ein. Nicht aber, wenn es um die Gesundheit der Anrainer oder die Umwelt geht. Wenn in einem ganzen Bundesland die Schadstoffbelastung aus dem Autoverkehr gesundheitsschädigende Grenzwerte überschreitet, [..] richtet die Landesregierung Appelle an die Bevölkerung, sich nicht mehr im Freien aufzuhalten, sondern in geschlossenen Gebäuden. [..]
Auch das kostenlose Abstellen von Fahrzeugen im öffentlichen Raum ist zur rechtlichen „Normalität“ geworden. Will hingegen jemand seine nicht mehr benützte Wohnungseinrichtung dort lagern, ist das nicht gestattet.
Die Zerstörung des Lebensraumes durch das Auto
Seite 111 f.
Man braucht bei höheren Geschwindigkeiten mehr Platz als bei geringen Geschwindigkeiten. [..] Je breiter ein Fahrstreifen ist, umso schneller kann man auf ihm fahren. [..] Das traditionelle Verkehrswesen nimmt diese Erkenntnisse nicht zur Kenntnis, baut weiterhin auf zu breite Fahrbahnen und verleitet damit Autofahrer, viel zu schnell zu fahren. [..] Tempo 50 im Ortsgebiet erfordert Fahrbahnbreiten von 4,80 m bis 5,20 m. Gebaut werden aber Fahrbahnen mit mindestens 6,00 m und 6,50 m. Dafür fehlt der Platz für die Fußgänger. [Anmerkung: In der Darmstädter Adelungstraße ist der Gehweg 2,10 m bzw. 2,30 m breit, wird durch parkende Autos aber meistens auf 1,20 m verringert. Die Fahrbahnen sind 6,70 m breit.]
Lebensraum für Autos, aber nicht für Kinder
Seite 126
Dass jedes Haus und jede menschliche Aktivität mit dem Auto erreichbar sein muss, widerspricht allen Zielen der Raumordnungsgesetze, nämlich
- Sparsamkeit im Flächenverbrauch,
- Förderung umweltfreundlicher Verkehrsarten,
- Verringerung der Abhängigkeit von fossilen Treibstoffen und
- Schonung von Landschaft und Ortsbild.
[Anmerkung: Im Buch wird das österreichische Raumordnungsgesetz zitiert. Das deutsche Gesetz findet sich hier.]
Eine Rechtsordnung aus dem Dritten Reich wird von den gegenwärtigen Demokratien rücksichtslos und bedingungslos umgesetzt. Die Reichsgaragenordnung verfolgte die Absicht, die Motorisierung zu fördern, um sich die Mittel für den Aufbau der Kriegsmaschinerie zu sichern. Deshalb wurde jedem, der eine Wohnung oder Arbeitsstätte bauen wollte, vorgeschrieben, für die vorhandene und in Zukunft zu erwartende Zahl an Fahrzeugen Parkplätze auf eigenem Grund oder in der Nähe bereizustellen. Die Bauordnungen haben dies übernommen und schreiben zu jeder Wohnung Parkplätze vor, nicht aber Kinderzimmer. Die Gesellschaft wird verpflichtet, Lebens
raum für die Produkte der Autoindustrie zu schaffen, zu Lasten des Lebensraums der eigenen Nachkommen.
Die Menschen reagieren intelligent, sie passen sich den geänderten Bedingungen an. Statistisch ist es eindeutig nachweisbar, dass die zunehmende Motorisierung nicht nur in den Städten, sondern auch am Land zu einer Abnahme der Kinderzahl und Familiengröße führt. Die Menschen passen sich der menschenfeindlichen Umwelt ebenso an so wie die Lurche und Kröten an eine Fahrbahn, die sie von ihren Laichgebieten abschneidet: Die Zahl der überfahrenen Kröten oder Lurche reduziert sich in wenigen Jahren auf null. Sie haben sich durch Aussterben angepasst.
Wird die Umwelt so verändert, dass der Fußgänger nichts mehr erreicht, wie in australischen oder amerikanischen Siedlungen, aber auch in unseren für das Auto zugeschnittenen Vororten, mutieren die Menschen in eine andere Lebensform, sie werden Autofahrer.
Verlust des Maßstabs
Seite 178
Als ich in den 1970er-Jahren für Wien flächendecken Tempo-30-Zonen plante, wurde heftig gegen diese Maßnahme protestiert. Tempo 30 wäre unzumutbar, eine so niedrige Geschwindigkeit könne man überhaupt nicht fahren. Abgesehen von dem Umstand, dass in Wien die Durchschnittsgeschwindigkeit im Primärnetz bei 27 km/h und in den Nebenstraßen bei 11 km/h liegt, zeigt dies den Verlust des menschlichen Maßstabes. Als mich ein etwas beleibter und außerordentlich erboster Autofahrer davon überzeugen wollte, dass Tempo 30 unzumutbar sei, ersuchte ich ihn, zumindest bis zum Häuserblock und wieder zurück mit Tempo 30 zu laufen, dann würden wir die Diskussion, ob Tempo 30 schnell oder langsam wäre, weiterführen. Der offene Mund meines Diskussionspartners ließ darauf schließen, dass er eine Ahnung von der Absurdität seiner Behauptung bekommen hatte. Nicht die Person hatte mit mir gesprochen, sondern das Auto in der Person versuchte mir klarzumachen, dass es nicht so langsam fahren könne – ohne dass die Person merkte, dass das Auto seine Raum-Zeit-Dimension, seine Sprache, sein Denken und sein Fühlen bereits beherrschte.
Leben nach Peak Oil: Falsche Antworten und sinnvolle Strategien
Seite 191 ff.
Das fossile Zeitalter, das wir bisher erlebt haben, hat zu einer Energievergeudung geführt wie nie zuvor. Nutznießer dieser Entwicklung waren vor allem die Industrienationen im Norden. Rund 25 % der Menschen verbrauchen über 80 % der fossilen Ressourcen und geben mit ihrem Lebensstil dem Rest der Welt ein Vorbild, das sich mit der Belastbarkeit der Erde schon heute nicht mehr verträgt. Der ökologische Fußabdruck der Menschheit ist bereits um 30 % größer als die Tragfähigkeit der Erde. Das noch immer fließende Erdöl macht es möglich. Die Mythen der Experten wurden von der Politik, aber auch von der Gesellschaft übernommen. Getragen von einer Welle billigen und leicht verfügbaren Erdöls, haben sich die Menschen in den Industrienationen auf ienen früher nicht vorstellbaren materiellen Luxus eingerichtet, den sie für selbstverständlich halten. Umgelegt auf menschliche Arbeitskraft entspricht die durchschnittliche Energiemenge, die ein Europäer konsumiert, 28 Arbeitssklaven, bei den Amerikanern ist es das Doppelte.
[..]
Die Fachleute gingen davon aus, Erdöl würde immer fließen. [..] Auf dieser fossilen Energie wurden mächtige Strukturen errichtet, vom Bauwesen über die Banken und die Autoindustrie bis hin zur Chemie und zur Landwirtschaft. Ihre Macht ist fossil begründet und Macht will um jeden Preis erhalten werden, selbst um den Preis des Niedergangs und der weitgehenden Zerstörung.
Es ist paradox, dass die als rational geltenden Naturwissenschaftler und Techniker bei der Automobilität dabei sind, genau die gleichen Fehler zu begehen, wie sie in politischen Machtstrukturen üblich sind. Sie wollen das wunderbare Zeitalter gedankenloser Energievergeudung um jeden Preis und abseits jeder Ratio prolongieren. Geld ist wie Erdöl eine Form der Energie. Wäre man hellhörig, könnte man aus den krachenden Finanzsystemen hören, dass sich im Untergrund, auf den die technische Zivilisation gebaut ist – dem Erdöl -, Veränderungen anbahnen. Finanzjongleure haben einfach den exponentiell steigenden Energieverbrauch im Geldsektor nahezu beliebig extrapoliert. Finanzkatastrophen haben aber keine so dramatischen physikalischen Konsequenzen wie der kommende Wandel in der Energieversorgung. Das Auto, zu 97 % auf fossile Energiequellen angewiesen, steht im Zentrum dieser Entwicklung. Selbst wenn man die Lebensdauer der Verkehrsanlagen nur mit 50 Jahren veranschlagt, ist heute jede Investition in neue Fahrbahnen für den Autoverkehr eine Fehlinvestition und daher nicht mehr zu verantworten.
Marktwirtschaft auch im Autoverkehr
Seite 218
Wer sein Auto daheim oder direkt am Ziel abstellen kann und dafür nicht den realen Marktpreis zahlt, sondern weniger oder gar nichts, wird diese tolle Subvention natürlich in Anspruch nehmen. Würde man die Fläche, die das Auto verparkt, am freien Markt vermieten, könnte man in städtischen Gebieten 300 Euro und mehr monatlich erzielen. Hinzu kommen die Kosten für die im Zuge der Zersiedlung zusätzlich benötigten Infrastruktur. Diese werden nicht auf den Verursacher, der sich ein Haus im Grünen leistet, umgelegt, sondern aus allgemeinen Steuern abgegolten. Die Marktwirtschaft hat den Autoverkehr ausgeklammert und von nahezu allen finanziellen Pflichten befreit. Das Verursacherprinzip ist gebrochen.
[..]
Wer daheim parkt, sollte für die erzeugten Kosten aufkommen. Wer sein Auto in ausgewiesenen Parkeinrichtungen abseits menschlicher Aktivitäten abstellt, sollte entsprechend weniger zahlen. Als Basis der Verrechnung kann die Jahreskarte des öffentlichen Verkehrs herangezogen werden: Wer sein Auto richtig parkt, zahlt und bekommt diese Jahreskarte; wer es daheim oder am Ziel abstellen will, muss den Betrag für mehrere Jahreskarten zahlen, bekommt aber nur eine.
Auch die peripheren Supermärkte müssen in die Pflicht genommen werden. Heute zerstören sie über das Auto ihre kleineren Konkurrenten in der Nähe der Menschen. Gefördert wird dies durch eine unfassbare Ungerechtigkeit im Umgang mit den Parkgebühren. Diese werden nach dem Grundeigentum und nicht nach der Funktion der Parkplätze festgelegt. Im innerörtlichen öffentlichen Raum gelten Parkgebühren bei den großen Räubern auf der grünen Wiese aber nicht, obwohl deren Parkplätze wertlos wären, hätte nicht die Allgemeinheit alle Zufahrtsstraßen errichtet, meist Autobahnen mit Anschlüssen, an denen sie mit Vorliebe ansetzen. Auch diese Parkplätze müssen gerechterweise mit Parkgebühren belegt werden, die nach der Zahl der Parkplätze und der Öffnungszeit des Betriebs zu berechnen sind und in einem Fonds verwaltet werden, aus dem die ortsgebundenen lokalen Geschäfte zu fördern sind. So wird ein Mindestausgleich in dem durch das Auto zugunsten der internationalen Konzerne verzerrten Wettbewerb ermöglicht.