Westendverlag, Frankfurt 2010
Der Gang in die Innenstadt
S. 50 ff.
Die meisten Autos sind [..] die, die nicht fahren. Stehzeuge. Die parken hier [in Frankfurt] überall. Längs zum Gehsteig, senkrecht zum Gehsteig, auf dem Gehsteig, in der zweiten Reihe usw.
Parken ist in Frankfurt auf dem Gehsteig – gemeint ist: mit einer Reifenseite – nur erlaubt, wo das blaue Schild es auch genehmigt. Das ist aber oft nicht da, und trotzdem wird es gemacht. Weil der Autofahrer weiß, dass seine Rechtsverletzung nicht geahndet wird. Eine hübsche Ausnahme in unserem Rechtssystem, extra für Autofahrer. Von den Nazis wurden einst aus den meisten Autler-Straftaten Ordnungswidrigkeiten gemacht, damit man sie, weil sie nur Ordnungswidrigkeiten sind, übertreten kann. Da waren die Nazis liberal, sehr liberal. Der Autofahrer (als nordischer Mensch, der das tun muss, weil es Kultur ist) fand bei ihnen Milde.
Es gibt eine Sauberkeitsabteilung in der Stadt: die Stabsstelle sauberes Frankfurt. Die achtet darauf, dass kein Hundekot [..], kein Müll, kein Sperrmüll oder kostenlose Zeitungen im Paket auf dem Gehsteig abgeladen werden. Den ganzen Blechsperrmüll, der mehr und sperriger ist als alles andere, den lassen sie in Ruhe. Es herrscht hier permanente Rechtlosigkeit, was das Parken angeht. Rechtlosigkeit für Fußgänger, Fahrradfahrer und Kinderwagenschieber. Auf meinem Fußweg ins Zentrum passiere ich einen Abchnitt ohne Stahlschutzgeländer und ohne Poller, die dazu angetan wären, die Autos und ihre Besitzer vom Gehsteig fernzuhalten. Da rücken sie dann senkrecht fast bis an eine Mauer heran. Da ich mich nicht ständig mit den Idioten rumärgern will und das Nerven kostet, halte ich meistens mein Maul. Aber selten, sehr selten muss auch ich was sagen. Als ein Fahrer seine Stoßstange weniger als einen Meter vor einer Gartenmauer enden ließ, bat ich ihn höflich, er solle doch ganz dranfahren. Das machte er prompt. Autofahrer sind gern trotzig. Und er kommentierte, ich könne ihm sowieso nichts nachweisen, ich hätte keinen Zeugen. [..] Doch da zog ich mein Handy und machte Anstalten zu fotografieren. Der Mann schoss wie von der Tarantel gestochen wieder zurück in sein Auto und entfernte sich mit quietschenden Reifen. Handys sind doch tatsächlich ab und an zu was nütze.
Weiter unten quert dann die Leipziger Straße. Eine Pflastersteinstraße, Einbahn mit wenigen Parkplätzen und Tempo 30. Die Leipziger Straße war mal eine Topeinkaufstraße mit vielen alten Geschäften und einem Kaufhaus. Auch jetzt hat sie noch ihren Reiz: Fischgeschäft, Metzgerei, Käseladen etc. Doch das Kaufhaus ist längst weg, Spezialgeschäfte wie Schreibwaren und Eisenwaren, auch Feinkost, fehlen. Ein einziger Buchladen fristet sein Dasein, ansonsten Banken, Apotheken, Kettenbäckereien, Handy- und Billig-ramschläden en masse. Die Mieten sind gigantisch hoch. Dies alles ist zum Großteil auch der U-Bahn geschuldet, die seit 1986 unten durchrauscht, eine U-Bahn, die einen von dort aus in wenigen Minuten ins Stadtzentrum bringt, auf die Zeil und anderswohin, und die umgekehrt die Mieten hochtreibt. Bis 1967 fuhr hier oberirdisch noch eine Straßenbahn, die sich heute auf Rasengleisen in einer Fußgängerzone vorzüglich machen würde. Gleichwohl scheitern immer wieder Anträgt, die Straße zur Fußgängerzone zu machen [..]. Die Einzelhändler fürchten nichts so sehr wie eine Autosperre und vertrauen lieber auf solchen Schwachsinn wie die Brötchentaste. Ein Unwort. Damit wird Autofahrern in der ersten Viertelstunde Parken ohne jede Bezahlung (die ja, verglichen mit den Mieten, sowieso gering ist), erlaubt und soll so zum Brötchenholen animieren – wobei man davon ausgehen darf, dass dann die Wohnung nicht weiter als 500 Meter entfernt ist. Wir wissen, die meisten Autofahrten sind kürzer als fünf, ein Großteil sogar kürzer als drei Kilometer. Mit solchen idiotischen Maßnahmen wird also Automobilität auf kürzesten Distanzen gefördert. [..] In meiner Lieblingsmetzgerei [..] war lange Zeit ein Schild zu lesen, dass, wer über 20 Euro einkaufe, den Parkschein bezahlt kriege. Als ich fragte, ob sie mir auch einen Anteil meiner ÖPNV-Jahreskarte erstatten würde, war lächelndes Schweigen angesagt.
Fetisch Mobilität
S. 61
Im Wirklichkeit geht es darum, sich mobilisiert zu bewegen. Nicht der Weg ist hier das Ziel, sondern der Spaß beim Überwinden des Weges. Und die Geschwindigkeit ist das zentrale Element dieses ganzen Affentanzes. Deswegen werden die Autos auch immer PS-stärker und schwerer, deswegen sinkt der Durchschnittsverbrauch kaum. [..]
Das Auto hat, unabhängig von seinem Antrieb und seinem Verbrauch, fünf entscheidende Nachteile, wie Winfried Wolf festgestellt hat – Nachteile, die es auch hätte, wenn es vollkommen clean, also ohne die geringste Luftverschmutzung fahren würde, was schon allein wegen des Abriebs und der Staubentwicklung unmöglich ist.
- Das Auto hat aufgrund seiner breiten Räder einen viel größeren Rollwiderstand als ein Schienenfahrzeug, das nur mit einer ganz geringen Fläche auf der Schiene aufliegt. Das führt automatisch zu einem hohen spezifischen Energieverbrauch.
- Der durchschnittliche Besetzungsgrad eines Pkw liegt z.Zt. bei 1,4 Personen, Tendenz fallend. Das sind bis zu 2,5 Tonnen Fahrzeug für zwei Zentner Mensch. Ein widersinniges Verhältnis, eine unglaubliche Energieverschwendung.
- Der Flächenverbrauch eines solchen Fahrzeuges ist sowohl im Stand als auch während der Fahrt derart gigantisch, dass es nie genug Straßen und nie genug Parkplätze geben kann. Ein aussichtsloses Unterfangen.
- Je höher die Pkw-Dichte, um so geringer die Geschwindigkeit. Sie ist in der Autostadt der Welt, Los Angeles, wo es die meisten Kfz und Highways pro Mensch gibt, mit am geringsten: 20 km/h. Da kann ein sportlicher Radfahrer locker mithalten.
- Und last but not least: Autofahren ist tödlich und fordert mehr Opfer als alle Kriege, Naturkatastrophen und auch jede andere Technik zusammen. Die Zahl der Verletzten und Verkrüppelten ist fast unüberschaubar.
Ich möchte noch einen sechsten Punkt hinzufügen: Ab Tempo 40 sind die Rollgeräusche der Kfz lauter als ihr Motor. Also würden auch Elektroautos unter jetzigen Bedingungen extrem viel Lärm verursachen.
Aber widmen wir uns zunächst dem Flächenverbrauch. Ein wunderbares Beispiel für die völlig absurde Mobilitätsideologie.
Fahrzeuge, das kann nicht oft genug gesagt werden, sind eigentlich vorzugsweise Stehzeuge, denn sie stehen 97 Prozent ihrer Zeit herum. Währenddessen verbrauchen sie gigantische Flächen, die ihnen und ihren Besitzern vom Staat und den Kommunen praktisch kostenlos zur Verfügung gestellt werden. Ein absolutes Unding. Doch das Auto hat nie genug Parkfläche. Schon 1965 (!) errechneten die Frankfurter Stadtplaner, dass, wenn alle, die in der Innenstadt arbeiten, mit dem Auto kämen und einen Parkplatz suchten, Abstellflächen in der Größenordnung der gesamten Innenstadt her müssten. Das ist natürlich Wahnsinnn, aber doch ein Wahnsinn, den man auch heute noch keinem Autofahrer klarmachen kann.
Wird man von einem solchen besucht, klagt der nämlich über die lange Parkplatzsuche. Wäre er indes auf vernünftige Weise zu Fuß, mit dem Fahrrad, dem ÖPNV oder wenigstens mit dem Taxi gekommen, hätte er keinen Grund, über die angeblich unvernünftig gebaute Stadt zu klagen. So aber ist jeder, der mit dem Auto unterwegs ist, überzeugt, dass ihm, ihm allein, ein Parkplatz gebührt. Ich vermeide es meist, auf diese Klage einzugehen, geschweige denn ihr zu widersprechen, denn schon liegt schlechte Stimmung in der Luft, und mit dem frisch eingetroffenen Besuch will man es sich ja nicht gleich verderben. Autofahrer sind in der Regel, was ihr Vehikel betrifft, völlig humorlos, und ich habe schon diverse Wutausbrüche von solchen erlebt, wenn man an den Wurzeln ihres motorisierten Daseins kratzt. Treffe ich jedoch meinerseits irgendwo zu einem Termin ein, werde ich gemeinhin gefragt, ob ich denn auch einen Parkplatz gefunden hätte, und wenn ich sage, dass ich mit öffentlihcen Verkehrsmitteln unterwegs bin, kommt auch gleich der verlogene Satz, das sei ja auch viel vernünftiger, und in der Stadt brauche man ja eigentlich gar kein Auto. Das ist das Jargon der Eigentlichkeit, hinter dem fast durchweg das eigene Fahrzeug steckt, für das man vielleicht sogar einen sündhaft teuren Tiefgaragenplatz vorhält und mit dem man doch so gern rumbrettert, weil’s eben so bequem ist. Aber die eigene Unvernunft man nicht gerne zugeben.