In Darmstadt werden regelmäßig die EU-Grenzwerte für den Luftschadstoff Stickoxid überschritten.
Zulässig ist die Überschreitung des Stundenmittelwertes von 200 µg/m3 an 18 Tagen pro Jahr. (Quelle: HLUG) In den vergangenen Jahren wurde der Stunden-Grenzwert aber an über 40 Tagen überschritten.
Ausserdem wird der Jahresmittelwert von 40 µg/m3 regelmäßig überschritten.
Deshalb hat die EU nun ein Vertrags-Verletzungs-Verfahren gegen Deutschland eröffnet. (zum Recherchieren: es hat die Nummer 2015/2073)
Es drohen Strafzahlungen in sechsstelliger Höhe – pro Tag. (Quelle: Vorlage 2015/0010, S. 6 sowie Vorlage 2015/0370, S. 4) Speziell geht es um unzureichende Luftreinhaltepläne, die es auch für Darmstadt gibt.
Zitat aus der Vorlage:
Mit Schreiben vom 02.07.2015 hat das Hess. Umweltministerium (HMUEKLV) mitgeteilt, dass die EU-Kommission mittlerweile ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland eingeleitet hat betreffend die Gebiete, in denen Grenzwerte für Stickstoffdioxid nicht eingehalten werden, hierzu gehört auch der Luftreinhalteplan Rhein-Main Teilplan Stadt Darmstadt.
Und weiter:
Das Hess. Umweltministerium verweist im Übrigen auf eine
Ankündigung der Deutschen Umwelthilfe, ggf. Vollstreckungsklage bzgl. des Luftreinhalteplans
einreichen zu wollen, falls die möglichen und wirkungsvollen Maßnahmen für Darmstadt nicht umgesetzt würden.
Darmstadt ist also gut beraten, wirkungsvolle Maßnahmen zu beschließen und umzusetzen.
Die in der Vorlage 2015/0370 vorgeschlagene und am 12.11.2015 beschlossene Maßnahme, die Flüssigkeit des (Auto-)Verkehrs zu verbessern, ist aus meiner Sicht keine wirkungsvolle Maßnahme.
Zumal dazu die ÖPNV-Beschleunigung eingeschränkt werden soll. (kann man dann noch sagen: „Schnelle 6“?)
Besser geeignet wären aus meiner Sicht:
- Einführung einer Citymaut
- Einrichtung von Pförtnerampeln an den Einfallstraßen (Hintergrundinformationen dazu)
- Fahrverbote
- Tempo 30 auf Hauptverkehrsstraßen
Eine gute Übersicht über wirkungsvolle Maßnahmen gibt dieser Artikel des Blogs „Zukunft Mobilität“:
http://www.zukunft-mobilitaet.net/11827/analyse/45-alternativen-zur-umweltzone/
Siehe auch die Artikel Umweltzone kommt am 1. November 2015 – Mängel im Luftreinhalteplan und Darmstadt bekommt Umweltzone, sowie Fahrverbote bei schlechter Luft?.
++++ Update 24.11.15 ++++
Die Deutsche Umwelthilfe hat einen Antrag auf „Zwangsvollstreckung“ des Urteils gestellt.
[Pressemeldung]
[Echo-Artikel]
Begründung: Die jetzt beschlossenen Maßnahmen (Umweltzone / verschärftes LKW-Durchfahrtverbot / Verflüssigung des Verkehrs durch Ampeloptimierung) reichen nicht aus und verbessern die Luftqualität nicht schnell genug. Laut Gerichtsurteil ist Darmstadt verpflichtet, die Luft-Grenzwerte „schnellstmöglich“ einzuhalten.
Darmstadt droht damit die Zahlung eines Zwangsgeldes von bis zu 10.000 EUR – möglicherweise pro Tag.
Die Umwelthilfe schlägt folgende Sofort-Maßnahmen vor (PDF):
- Einführung eines Bürgertickets für den ÖPNV, das eine Steigerung der Nachfrage von 30 % schaffen könnte.
- Umstieg auf emissionsarme Fortbewegungsmittel wie den Radverkehr, Elektrofahrzeuge oder auch auf Systeme zur Verringerung des Fahrzeugbestandes wie Car-Sharing.
- Einführung einer City-Maut.
- Bau von ausreichenden Park-&-Ride-Parkplätzen.
- Busse mit Partikel-Filter ausstatten.
- Deutliche Anhebung der Parkgebühren in der Innenstadt.
- Flächendeckende Reduzierung des Geschwindigkeitsniveaus auf 30 km/h.
- Kurzfristige Umstellung der Taxiflotte auf Umwelttaxis, mit Gas-,
Benzin-Hybrid- oder Elektro- Antrieb. - Einführung einer Blauen Plakette für die Umweltzone, um die Einfahrt auch für besonders NOx-emissionsstarke Fahrzeuge einzuschränken.
++++ Update 13.1.16 ++++
Darmstadt muss reagieren: Das Verwaltungsgericht Wiesbaden hat geurteilt, dass die bisherigen Maßnahmen nicht ausreichend sind.
Die Frist zum Umsetzen von weiteren Maßnahmen beträgt 12 Monate und läuft seit Januar 2016.
Echo-Artikel – Artikel der Deutschen Umwelthilfe (der Kläger) – Gerichtsurteil Nr. 4 N 1726/15.WI(2) des Verwaltungsgerichtes Wiesbaden vom 11.1.2016 (Achtung 20 Seiten Juristendeutsch)
Zitate aus dem Urteil:
Weder hat das Hess. Umweltministerium [im Luftreinhalteplan für Darmstadt] Maßnahmen aufgelistet, die die Luftverunreinigung mit NO2 im Stadtgebiet Darmstadt so reduzieren können, dass der Grenzwert [..] eingehalten wird, noch ist ein Konzept erarbeitet, dieses Ziel in absehbarer Zeit zu erreichen. (S. 14)
Insbesondere wird auch die Einführung eines Bürgertickets, einer City-Maut und ein Durchfahrtsverbot für Dieselfahrzeuge [..] mit zu berücksichtigen sein.
[..] Für eine Verweigerung [..] gibt es keine [..] Rechtfertigung und angesichts eines Anteils des Straßenverkehrs an der Verursachung der NO2-Belastung von etwa 2/3 auch keine Alternative. (S. 17)Das Zwangsgeld kann wiederholt festgesetzt werden, bis der Vollstreckungsschuldner [also das Land Hessen] seinen Pflichten nachgekommen ist. (S. 20)
++++ Update 27.1.2016 ++++
Im Darmstädter Echo wurde ein Interview mit dem Umweltrecht-Experten Prof. Martin Führ zum Thema veröffentlicht:
http://www.echo-online.de/lokales/darmstadt/die-politik-muss-sofort-handeln_16585741.htm
Zum Thema „Citymaut“ sagt er dort:
„Ausgerechnet die wirksamste lokale Maßnahme zur Luftreinhaltung soll nicht zur Verfügung stehen? Das ist im Grunde ein Schlag ins Gesicht all derjenigen, die an den Folgen der Schadstoffe erkranken.“
++++ Update 3.7.2016 ++++
Es gibt einen neuen Gerichtsentscheid: Die Vollstreckungsklage der DUH (Umwelthilfe) gegen das Land Hessen wurde im Mai 2016 aufgehoben. (Urteil – Pressemeldung des Gerichtes) Das Urteil wird vom Hessischen Verwaltungsgerichtshof unter der Nummer 9 E 448/16 geführt.
Die Forderung nach Bürgerticket sei obsolet, weil es keine Rechtsgrundlage für eine Einführung gibt, und es der Stadt Darmstadt somit unmöglich sei, ein Bürgerticket einzuführen. Gleiches gilt für die Citymaut.